Wirtschaft ist nicht alles: Warum Migration mehr bedeutet als wirtschaftlicher Nutzen

08. September 2024

In der aktuellen Debatte um Migration in Deutschland wird oft ein Argument besonders hervorgehoben: Unsere Wirtschaft wäre ohne migrantische Arbeitskräfte nicht überlebensfähig. Tatsächlich stimmt dies – laut der Bundesagentur für Arbeit stellen ausländische Arbeitskräfte einen bedeutenden Teil der deutschen Erwerbsbevölkerung dar. Ohne sie würde die Arbeitslosenquote steigen, während viele Branchen, wie das Gesundheitswesen oder das Handwerk, regelrecht kollabieren würden. Doch diese Perspektive greift zu kurz. Migration darf nicht nur als ökonomischer Faktor gesehen werden; sie bedeutet weit mehr.

Cultural Policy Lab

Die wirtschaftliche Bedeutung von Migration

Unbestritten ist der ökonomische Nutzen, den Migrantinnen und Migranten der deutschen Gesellschaft bringen. Eine Studie des Tagesspiegel zeigt, dass Zuwanderer deutlich mehr in das deutsche Sozialversicherungssystem einzahlen, als sie Leistungen beziehen. Dies widerlegt oft zitierte Vorurteile, Migranten würden die Sozialsysteme belasten. Laut der Bundesagentur für Arbeit betrug der Anteil von ausländischen Beschäftigten in Deutschland im Jahr 2022 fast 13 Prozent. Diese Arbeitskräfte übernehmen vielfach Berufe, die in Deutschland stark nachgefragt, aber unterbesetzt sind. Besonders in der Pflege, der Bauindustrie und der Logistik sind Migrantinnen und Migranten unverzichtbar.

Doch selbst wenn die wirtschaftlichen Vorteile unbestreitbar sind, wäre es falsch, Menschen allein auf ihren ökonomischen Beitrag zu reduzieren. Es ist notwendig, den Blick über Zahlen und Statistiken hinauszuweiten. Migration bedeutet kulturelle Bereicherung, Diversität und die Möglichkeit, voneinander zu lernen und gemeinsam stärker zu werden.

Gastarbeiter:innen: Ein Beispiel, wenn Menschen auf ihre Arbeitskraft reduziert werden

Ein tragisches Beispiel, was passiert, wenn Menschen auf ihre Arbeitskraft begrenzt werden, zeigt sich in der Geschichte der Gastarbeiter:innen. Ab den 1950er Jahren kamen Millionen von Arbeitskräften aus Südeuropa, der Türkei und Nordafrika nach Deutschland, um den steigenden Bedarf an Arbeitskräften im Zuge des Wirtschaftswunders zu decken. Sie leisteten einen erheblichen Beitrag zum Wiederaufbau und zum Wohlstand des Landes, doch wurden sie oft nur als „Arbeitskräfte“ und nicht als Menschen wahrgenommen.

Diese Gastarbeiter:innen lebten unter harten Bedingungen, oft isoliert von der Gesellschaft und fern ihrer Familien. Sie wurden überwiegend als temporäre Arbeitskräfte behandelt, ohne dass ihnen eine dauerhafte Perspektive in Deutschland geboten wurde. Ihr Beitrag zum deutschen Wohlstand wurde lange Zeit nicht ausreichend gewürdigt, und ihre Integration in die Gesellschaft blieb ihnen weitgehend verwehrt.

Arbeitgeberverbände begrüssen 1960 den einmillionsten "Gastarbeiter" am Münchner Hauptbahnhof
Arbeitgeberverbände begrüßen 1960 den einmillionsten "Gastarbeiter" am Münchner Hauptbahnhof

Dieses Negativbeispiel zeigt, wie problematisch es ist, Menschen nur nach ihrem wirtschaftlichen Nutzen zu bewerten. Die Gastarbeiter:innen wurden nach Jahren harter Arbeit oft vergessen und blieben gesellschaftlich unsichtbar. Die Anerkennung kam für viele erst spät – doch die Kinder und Enkel der Gastarbeiter:innen sind heute fest in Deutschland verwurzelt und tragen in vielfältiger Weise zum gesellschaftlichen Leben bei. Dieses Beispiel sollte uns mahnen, Menschen nicht nur durch die Linse der Arbeitskraft zu betrachten, sondern sie als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft zu respektieren und zu behandeln.

Menschlichkeit ist mehr als Zahlen

Die Reduktion von Migrantinnen und Migranten auf reine Wirtschaftsfaktoren führt dazu, dass deren menschliche Seite oft in den Hintergrund gerät. Die Debatte muss daher auch moralische und ethische Gesichtspunkte umfassen. Jeder Mensch bringt nicht nur Arbeitskraft mit, sondern auch persönliche Geschichten, kulturelles Wissen und eigene Werte. Die SPD brachte dies im Bundestagswahlkampf 2021 mit ihrer Respekt-Kampagne auf den Punkt: „Respekt für dich und alle anderen.“ Dabei ging es nicht nur um wirtschaftlichen Erfolg, sondern um eine Haltung, die jeden Menschen wertschätzt – unabhängig von Herkunft, Religion oder Status.

Diese Werte haben auch tiefe Wurzeln in der christlichen Tradition. Die Bibel spricht immer wieder davon, den „Fremden“ aufzunehmen und ihm mit Respekt und Offenheit zu begegnen. Einander in der Diversität zu akzeptieren und sich auf Augenhöhe zu begegnen, ist eine Tugend, die weit über den ökonomischen Nutzen hinausgeht. Sie spiegelt einen Kernwert wider, der in einer globalisierten und zunehmend vernetzten Welt immer wichtiger wird: die Achtung vor der Würde jedes einzelnen Menschen.

Bayern: Ein kultureller Melting-Pot.

Besonders eindrucksvoll zeigt sich die positive Wirkung von Migration in Bayern. Oft als Herzstück der deutschen Tradition und Kultur angesehen, wird dabei gerne vergessen, dass gerade Bayern historisch ein wahrer „Melting-Pot“ ist. Schon die Bajuwaren selbst waren eine Mischung verschiedener Völkerstämme – darunter Kelten, Germanen und Römer – die im Laufe der Zeit in Bayern zusammenfanden. Über die Jahrhunderte haben sich viele Kulturen in Bayern niedergelassen und das Land geprägt: Langobarden, Hunnen, Menschen aus dem heutigen Bulgarien, Rumänien, Tschiechen, Kroatien, Bosnier, Italiener, Griechen und Türken.

Projekt "Hellas München" im Werkraum der Münchner Kammerspiele
Projekt "Hellas München" im Werkraum der Münchner Kammerspiele

Gerade diese Vielfalt hat Bayern zu dem gemacht, was es heute ist: eine dynamische Region, die kulturell und wirtschaftlich blüht. Bayern ist der lebendige Beweis dafür, dass Migration und Diversität einen nachhaltigen positiven Einfluss auf eine Gesellschaft haben können. Die Geschichte der Bajuwaren und die kontinuierliche Zuwanderung aus dem Süden und Südosten Europas zeigt, dass Vielfalt eine historische Konstante ist, die Bayern zu einem kulturellen Schmelztiegel gemacht hat – eine Mischung, die bis heute ein wesentlicher Teil der bayerischen Identität ist.

Diversität als gesellschaftlicher Reichtum

Migration fördert nicht nur den wirtschaftlichen Wohlstand, sondern ist auch ein Motor für gesellschaftlichen Fortschritt. Diversität bereichert unser Zusammenleben und öffnet den Raum für neue Perspektiven. Projekte wie die Respekt-Kampagne oder Bildungsprogramme wie die Sendung „Respekt“ auf ARD-alpha verdeutlichen, wie wichtig Toleranz und Offenheit im Umgang mit unterschiedlichen Kulturen und Lebensweisen sind. Toleranz bedeutet, andere so zu akzeptieren, wie sie sind. Dies zu vermitteln, ist entscheidend für den sozialen Frieden und den Zusammenhalt in einer Gesellschaft.

Indem wir Menschen unterschiedlicher Herkunft willkommen heißen und ihre Vielfalt als Stärke anerkennen, schaffen wir ein Umfeld, in dem jeder seine Potenziale entfalten kann. Die Vorteile davon sind nicht nur individuell, sondern auch gesellschaftlich spürbar. So zeigen Studien, dass diverse Teams in Unternehmen und Hochschulen kreativer und erfolgreicher sind. Laut einem Bericht des Bundesverbands Deutscher Stiftungen trägt Diversität im Arbeitsumfeld zu höherer Innovation und besseren Ergebnissen bei.

Wirtschaft ist nicht alles – Menschlichkeit und Werte zählen

Am Ende des Tages ist es wichtig, die Balance zwischen wirtschaftlichen und ethischen Argumenten zu finden. Die Vorteile, die Migrantinnen und Migranten der deutschen Wirtschaft bringen, sind unbestreitbar. Doch es wäre ein Fehler, Menschen allein auf ihre wirtschaftliche Leistung zu reduzieren. Sie sind Teil unserer Gesellschaft und tragen durch ihre kulturellen Hintergründe, Erfahrungen und Perspektiven zur Vielfalt und zum gesellschaftlichen Reichtum bei.

IBSM Diversity

Migration bedeutet daher nicht nur wirtschaftlichen Nutzen, sondern auch Menschlichkeit, Toleranz und die Chance auf ein friedliches Miteinander. Wenn wir den Menschen hinter der Arbeitskraft sehen, können wir eine Gesellschaft schaffen, die auf Respekt, Offenheit und gegenseitiger Unterstützung basiert – eine Gesellschaft, in der jeder Mensch zählt. Die ökonomischen Vorteile sind nur ein Teil des Bildes; der wahre Gewinn liegt in einer solidarischen und diversen Gemeinschaft, die gemeinsam wächst und sich gegenseitig bereichert.

Ja, ohne Migrantinnen und Migranten würde unsere Wirtschaft nicht funktionieren. Aber Wirtschaft ist nicht alles. Es geht um Respekt, Diversität und die menschliche Würde. Diese sollten wir niemals aus den Augen verlieren. Denn am Ende zählt mehr als nur der wirtschaftliche Erfolg: Es zählt, wie wir als Gesellschaft miteinander umgehen.

Quellen:

https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Statischer-Content/Statistiken/Themen-im-Fokus/Migration/Generische-Publikationen/AMkompakt-Auslaendische-Arbeitskraefte-am-deutschen-Arbeitsmarkt.pdf?__blob=publicationFile&v=2

https://www.br.de/extra/respekt/diversity-vielfalt-diversitaet-100.html

https://www.br.de/fernsehen/ard-alpha/programmkalender/sendung-3074442.html

https://www.stiftungen.org/themen/geschlechtergerechtigkeit/diversitaet-mit-offenheit-akzeptanz-und-respekt-fuereinander-zum-erfolg.html

https://www.statistik.bayern.de/mam/produkte/biz/z1000g_202402.pdf

https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/zuwanderer-zahlen-deutlich-mehr-ein-als-sie-in-anspruch-nehmen-5051602.html

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