Schuldenbremse lösen, Zukunft gewinnen: Für eine Wirtschaftspolitik mit Menschlichkeit

12. Oktober 2024

In Deutschland stehen wir vor einer der größten wirtschaftlichen Transformationen seit Jahrzehnten. Die Notwendigkeit, die Wirtschaft auf die Herausforderungen der Zukunft auszurichten – sei es durch Digitalisierung, Klimaschutz oder den demografischen Wandel – ist unbestreitbar. Doch genau in dieser kritischen Phase wird das Land durch ein Instrument blockiert, das zwar gut gemeint war, sich aber immer mehr als Hindernis für notwendige Investitionen entpuppt: die Schuldenbremse.

Stau

Investitionen in die Zukunft? Die Schuldenbremse sagt: Nein.

Ein Blick auf die Zahlen zeigt, wie dramatisch die Lage ist. Die deutsche Wirtschaft leidet unter Investitionsstaus in vielen Schlüsselbereichen. Der digitale Ausbau stockt, die Energiewende benötigt massive Infrastrukturmaßnahmen, und die Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft erfordert innovative Lösungen und Technologien. Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft fehlen in Deutschland jährlich bis zu 600 Milliarden Euro, um die notwendigen Investitionen in diese Zukunftsthemen zu tätigen.

Die Schuldenbremse, die 2011 als Reaktion auf die Finanzkrise eingeführt wurde, beschränkt jedoch die Möglichkeit des Staates, sich für eben solche Investitionen zu verschulden. Sie wurde als Instrument erdacht, um die Staatsschulden zu begrenzen und eine solide Haushaltsführung zu gewährleisten. Doch was einst sinnvoll schien, entwickelt sich nun zu einem massiven Hindernis. Denn wissenschaftlich ist die Argumentation, dass wir keine neuen Schulden machen dürften, längst überholt.

Wirtschaft ist kein Selbstzweck – der Mensch muss im Mittelpunkt stehen

Wirtschaft ist kein Selbstzweck. Eine florierende Wirtschaft sollte nicht nur darauf abzielen, Unternehmensgewinne zu maximieren oder den Wettbewerb zu fördern. Vielmehr sollte sie das Wohl der Menschen in den Mittelpunkt stellen. Gute Wirtschaftspolitik zeichnet sich dadurch aus, dass sie den Lebensstandard der Bevölkerung verbessert, soziale Sicherheit gewährleistet und Zukunftsängste nimmt.

Betrachten wir beispielsweise Anne, eine alleinerziehende Mutter aus Freimann. Sie arbeitet Vollzeit als Lageristin bei einem mittelständischen Automobilzulieferer, verdient aber kaum genug, um die steigenden Mieten und Energiekosten zu decken. Wenn wir uns ausschließlich auf wirtschaftliche Kennzahlen wie das Bruttoinlandsprodukt konzentrieren, bleibt Annes Situation unsichtbar. Es sind Menschen wie sie, die von der Transformation besonders betroffen sein werden, und die am meisten unter den Folgen leiden, wenn soziale Sicherungsnetze abgebaut werden.

Die Schuldenbremse mag die Staatsverschuldung kontrollieren, aber zu welchem Preis? Was nützt es, wenn wir die Staatsschulden stabil halten, aber gleichzeitig Menschen wie Anne zunehmend unter finanziellen Druck geraten und keine Perspektive für die Zukunft sehen?

Raoul Krise
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Kürzungen im Sozialbereich: Eine gefährliche Sackgasse

Die Befürworter der Schuldenbremse argumentieren oft, dass man Sozialausgaben kürzen müsse, um Geld für Investitionen freizusetzen. Dieser Ansatz ist jedoch sowohl moralisch fragwürdig als auch wirtschaftlich kurzsichtig. Es mag verlockend klingen, die Staatsausgaben zu reduzieren, um Gelder für andere Bereiche bereitzustellen. Doch die Realität sieht anders aus.

Werfen wir einen Blick auf die Argumentation: Sozialausgaben wie Bürgergeld, Renten oder Wohngeld sollen gekürzt werden, um mehr Geld in die Industrie oder den Technologiebereich zu investieren. Doch diese Kürzungen treffen genau die Menschen, die ohnehin schon mit prekären Lebensverhältnissen kämpfen. Die Folge? Steigende soziale Ungerechtigkeit, wachsende Armut und eine tiefe Kluft in der Gesellschaft.

Demokratie in Gefahr: Die Abgehängten verlassen den Grundkonsens.

Ein weiterer Punkt, der bei dieser Argumentation oft vernachlässigt wird, ist die politische Dimension. Menschen, die das Gefühl haben, abgehängt zu werden, fühlen sich nicht nur wirtschaftlich bedroht – sie wenden sich zunehmend von der Politik ab. Die Konsequenz: Viele dieser Menschen verlieren den Glauben an die demokratischen Institutionen und sind empfänglich für einfache Lösungen, die von extremistischen Parteien angeboten werden.

Es ist kein Zufall, dass in den letzten Jahren rechtsextreme Parteien in Europa und auch in Deutschland an Zulauf gewonnen haben. Besonders in Regionen, in denen Menschen sich durch die Transformation bedroht fühlen und keine Perspektive mehr sehen, steigt die Gefahr, dass sie sich radikalisieren und den demokratischen Grundkonsens verlassen. Ohne soziale Sicherheit und das Gefühl, dass die Transformation auch sie mitnimmt, wächst die Frustration – und mit ihr der Einfluss extremistischer Kräfte.

Dieses Phänomen ist gefährlich für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und bedroht die demokratische Stabilität. Denn wenn die soziale Schere weiter auseinandergeht, könnte sich das Vertrauen in die Demokratie langfristig massiv verschlechtern. Die Politik muss daher nicht nur auf die ökonomische, sondern auch auf die soziale Sicherheit der Menschen achten.

Ohne soziale Sicherheit wird die Transformation scheitern

Die Transformation, die vor uns liegt, kann nur gelingen, wenn die Menschen mitmachen. Dies wird jedoch nicht der Fall sein, wenn sie Angst haben, dabei zu den Verlierern zu gehören. Wer sich unsicher fühlt, wird nicht bereit sein, Veränderungen zu akzeptieren oder gar zu fördern. Vielmehr wird der gesellschaftliche Widerstand zunehmen, und wir werden einen gefährlichen Rückschritt in Richtung Populismus und politischer Instabilität erleben.

Die Geschichte zeigt, dass wirtschaftlicher Wandel nur dann erfolgreich war, wenn die Menschen an ihm teilhatten und von den Veränderungen profitieren konnten. In Deutschland waren es immer der soziale Frieden und das Vertrauen in die sozialen Sicherungssysteme, die die Grundlage für Wohlstand und Fortschritt bildeten. Der soziale Staat hat uns durch Krisen getragen und den Zusammenhalt der Gesellschaft gesichert.

Deshalb ist es so entscheidend, dass wir ein tragfähiges soziales Netz schaffen und stärken. Ohne dieses Netz wird die Transformation scheitern – und zwar nicht nur aus sozialen, sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen.

Zahnräder

Die Schuldenbremse muss weg: Beides ist möglich

Die Lösung liegt auf der Hand: Wir müssen uns von der Schuldenbremse verabschieden, um die notwendigen Investitionen in die Zukunft zu tätigen und gleichzeitig soziale Sicherheit zu gewährleisten. Das eine schließt das andere nicht aus. Im Gegenteil, sie bedingen sich gegenseitig.

Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Innovationen werden das Fundament für eine zukunftsfähige Wirtschaft legen. Gleichzeitig müssen wir dafür sorgen, dass Menschen wie Anne nicht in die Armut abrutschen oder sich von der Transformation abgehängt fühlen. Das bedeutet, dass wir weiterhin in soziale Sicherungssysteme investieren müssen, die den Menschen Stabilität und Vertrauen geben.

Ein gutes Beispiel für erfolgreiche kreditfinanzierte Staatsinvestitionen ist Kanada. Nach der Finanzkrise 2008 setzte die kanadische Regierung gezielt auf staatliche Investitionen in Bereiche wie Infrastruktur, erneuerbare Energien und Bildung, die durch eine moderate Erhöhung der Staatsverschuldung finanziert wurden. Diese Maßnahmen förderten nicht nur das Wirtschaftswachstum, sondern stärkten auch die soziale Sicherheit und halfen, Arbeitsplätze zu schaffen. Kanadas langfristige Investitionen haben das Land zu einer der wettbewerbsfähigsten Volkswirtschaften gemacht, während gleichzeitig ein hohes Maß an sozialer Absicherung gewährleistet wurde.

Fazit: Eine Wirtschaftspolitik für die Menschen.

Deutschland steht an einem Scheideweg. Die Schuldenbremse mag in der Vergangenheit als ein sinnvolles Instrument erschienen sein, doch heute blockiert sie notwendige Zukunftsinvestitionen und gefährdet den sozialen Frieden. Wir müssen eine Wirtschaftspolitik verfolgen, die nicht nur die Zahlen im Blick hat, sondern vor allem die Menschen. Nur so kann die Transformation gelingen, ohne dass Teile der Gesellschaft auf der Strecke bleiben.

Es ist Zeit, mutig voranzugehen und das Richtige zu tun: Die Schuldenbremse muss weg, damit Deutschland wirtschaftlich und sozial zukunftsfähig bleibt. Nur so können wir sicherstellen, dass Menschen wie Anne nicht zu den Verlierern der Transformation werden – sondern zu ihren Gestaltern.

Quellen (u.a.):
https://www.iwkoeln.de/presse/pressemitteilungen/michael-huether-simon-gerards-iglesias-600-milliarden-euro-fuer-eine-zukunftsfaehige-wirtschaft.html
https://sciendo.com/article/10.2478/wd-2024-0010
https://www.imf.org/en/Publications/CR/Issues/2021/03/17/Canada-Selected-Issues-50274

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